Als Bethesda 2015 Fallout 4 ankündigte und nur sechs Monate später veröffentlichte, wirkte es wie ein kleines Wunder der Marketingeffizienz. Die Erwartungen waren riesig, doch der Launch hinterließ ein widersprüchliches Bild aus beeindruckenden Momenten und technischen Problemen. Im Laufe der Jahre hat sich Fallout 4 dennoch zu einem der beliebtesten Ableger der Serie entwickelt, nicht zuletzt dank umfangreicher DLCs und zahlreicher Updates. Nun erscheint die Anniversary Edition, die das Grundspiel und sämtliche Erweiterungen in einem Paket bündelt. Für Neulinge bedeutet das über 150 Stunden Inhalt, für Veteranen jedoch die ernüchternde Erkenntnis, dass sich am eigentlichen Spiel fast nichts verändert hat.

Die Anniversary Edition enthält praktisch denselben Umfang wie die Game of the Year Edition von 2017. Ein paar neue Creation-Club-Inhalte ergänzen das Paket, doch strukturelle Neuerungen gibt es kaum. Wer Fallout 4 bereits besitzt, wird hier wenig finden, was eine erneute Investition rechtfertigt. Für alle, die die Serie erst jetzt betreten, sieht das anders aus. Fallout 4 bleibt ein enormes, vielseitiges und atmosphärisches Open-World-RPG, dessen Grundspiel bereits rund 30 Stunden umfasst. Die Erweiterungen wie Far Harbor und Nuka-World zählen nach wie vor zu den besten DLC-Paketen der gesamten Reihe und erweitern die Spielwelt um hochwertige, eigenständige Abenteuer.

Bethesdas typische Bauschwelle aus Talent, Jank und Ambition zeigt sich auch in dieser Ausgabe unverändert. Die Anniversary Edition übernimmt sämtliche Stärken, aber eben auch alle Schwächen des Originals. Die Performance ist schwankend. Manche Gebiete laufen flüssig, während andere von deutlichen Framerate-Einbrüchen heimgesucht werden. Stottern, Clipping, verzögerte Animationen und verschwundene NPCs treten wiederholt auf. Begleiter bleiben in der Welt hängen oder finden ihren Weg nicht mehr zu dir. Unterirdische Gebiete hingegen laufen deutlich besser und erinnern daran, wie rund Fallout 4 eigentlich wirken könnte. Doch sobald man wieder an die Oberfläche tritt, kommt die Realität dieser Neuauflage zurück.

Trotz aller technischen Macken besitzt Fallout 4 eine Faszination, die sich kaum leugnen lässt. Der Einstieg ist ikonisch: Der Blick auf den ersten Bombenabwurf, der Gang in Vault 111, das langsame Wiedererwachen in einer veränderten Welt. Die Charaktererstellung wirkt auch nach zehn Jahren bemerkenswert intuitiv, und das Gefühl, selbst aus einer improvisierten Pistole oder einem Laserkarabiner maximale Präzision herauszuholen, ist nach wie vor überzeugend. Sobald die offene Welt zur Verfügung steht, zeigt sich Fallout 4 von seiner stärksten Seite. Der Mix aus Erkunden, Kämpfen und Sammeln besitzt eine magnetische Wirkung. Hier ein verlassenes Haus voller Ghule, dort ein Bunker mit einer eigenen kleinen Geschichte. Die Spielwelt lebt von ihren unzähligen Nebenschauplätzen und dem leisen Dröhnen der Musik, die irgendwo aus der Ferne die Ödnis kommentiert.

Die inszenierte Hauptgeschichte bleibt ein zweischneidiges Schwert. Sie beginnt emotional stark, verliert aber schnell an Tiefe und verfällt später in eine Mischung aus altbekannten Wendungen und hölzern wirkendem Pathos. Das Dialogsystem zählt weiterhin zu den schwächsten in einem modernen Bethesda-RPG, und die Auswahlmöglichkeiten fühlen sich oft künstlich eingeschränkt an. Wer den Siedlungsbau schon damals nicht mochte, wird auch heute nichts finden, das die Meinung ändert. Fallout 4 ist nach wie vor ein kurioses Mischwesen aus postapokalyptischem Drama und überdrehter Freizeitpark-Fantasie. Und daran rüttelt die Anniversary Edition kein bisschen.

Für alle, die Fallout 4 bereits besitzen, ist diese Neuauflage kaum mehr als ein hübsches Rebranding. Die GOTY-Edition enthält denselben Inhalt und wird regelmäßig stark reduziert angeboten. Wer Fallout 4 jedoch noch nie gespielt hat und eine moderne Einstiegsversion sucht, erhält hier ein gewaltiges Paket mit fantastisch designten Erweiterungen und einem der atmosphärischsten Ödländer der letzten Dekade. Allerdings sollte man die technischen Stolpersteine einplanen, die das Erlebnis je nach Region deutlich trüben können.

Die Fallout 4: Anniversary Edition ist ein ambivalentes Angebot. Für Veteranen gibt es keinerlei Mehrwert, für Neueinsteiger dagegen eine der vollständigsten und inhaltlich reichsten Ausgaben des Spiels. Fallout 4 bleibt ein großartiges Open-World-Rollenspiel mit unverwechselbarer Stimmung und starken DLCs, aber die technische Umsetzung dieser Neuveröffentlichung enttäuscht. Wenn das Spiel läuft, entfaltet es eine beeindruckende Sogwirkung. Wenn es nicht läuft, ist es eine frustrierende Erinnerung daran, dass Bethesda-Spiele auch zehn Jahre später selten so rund wirken, wie sie sollten.

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