Videospiele brauchen zur Klassifizierung als „Spiel“ eigentlich eine Art Interaktivität, entfernt man dieses Element, bleibt im Grunde nur ein Film übrig. Die Frage ist allerdings, ob es dann trotzdem noch gleichermaßen unterhalten kann? – Denn das neueste Spiel von ebi-hime und Ratalaika Games wirbt damit eine rein lineare Erzählung zu sein, die ohne Entscheidungen auskommt. So handelt es sich bei „All the Things she wrote“ um ein reines 2D-Erlebnis, in dem man eine charmante Liebesgeschichte mit lesbischem Bezug erlebt – ohne Wahlmöglichkeiten, sondern mit festem Erzählstrang und liebevoller Inszenierung.

Die Handlung dreht sich um Takaoka Mayo, eine in den Zwanzigern stehende junge Frau, deren Leben im Alltagstrott verharrt – bis sie ein ungewöhnliches Jobangebot erhält: Sie soll Hauswirtschafterin für den mysteriösen und zurückgezogen lebenden Autor Tsuchimi Rui werden, der hinter der beliebten Light‑Novel‑Serie „Elf Forest“ steht. Mayo bewundert vor allem die Protagonistin der Bücher, ‑die fiktive Prinzessin Luluna. Der Autor stellt sich jedoch nicht als der erwartete ältere Mann heraus, sondern als eine junge, wortgewandte Frau namens Komikado Hijiri, die unter einem Pseudonym Bücher schreibt. Sie ist klein, lebt zurückgezogen, aber mit scharfem Verstand. Bald entwickelt sich zwischen den beiden Frauen eine zarte Liebesgeschichte, die sich zwischen Fandom‑Faszination und echter Nähe bewegt. Das zentrale Dilemma: Liebst du das perfekte Kunstwerk, oder die reale Person dahinter?

Die Welt ist im klassischen Visual‑Novel‑Stil gezeichnet: ruhige Alltagsmomente in Hijiris Haus, ab und an ein Blick auf Bücherregale oder Schreibplatz, stets getragen von emotionalen Dialogen. Der Ton ist nostalgisch, erinnert mich an ruhig erzählte japanische Filme wie „Your Name.“ oder „5 Centimeters per Second“, aber auch an Visual Novel-Perlen wie „Clannad“ – mit atmosphärischer Leichtigkeit, die sich zwischen ruhigen Gesprächen, kleinen Konflikten und warmen Versöhnungen bewegt. – Das Gameplay ist streng linear: Keine Entscheidungen, keine Branches, stattdessen eine in sich geschlossene Geschichte mit etwa 100.000 Wörtern Text – was etwa 4–6 Stunden Lesezeit ergibt. Man klickt oder drückt, um den Text fortzuschalten, kann Texte überspringen oder Auto‑Mode aktivieren – wie von klassischen Visual Novels gewohnt. Dieses Konzept verstärkt den cineastischen Eindruck; man liest keine Wahlexplosion, sondern erlebt eine Geschichte. Im Vergleich zu interaktiveren Titeln wie „Doki Doki Literature Club“ oder „Steins;Gate“ fehlt die Entscheidungsfreiheit, aber das stört überraschenderweise in diesem Kontext nicht – wer hier reinsteigt, achtet anscheinend mehr auf Erzählfluss als auf Gameplay.

Technisch ist das sehr solide umgesetzt: Die Steuerung reagiert umgehend, Texte lassen sich individuell anpassen – Geschwindigkeit, Überspringen etc. – wie ein „Komfortpaket“ der Re‑Read‑Generation. Hält man Skip‑Funktion per Schultertaste gedrückt, fliegt man locker durch das Skript. Schwierigkeit gibt es keine, das Erlebnis lässt sich auf gemütlich durchziehen oder wie eine gut inszenierte Lichtspielgeschichte genießen. Grafisch liefert der Titel reizende Charakterporträts, die in über 100 Szenen immer wieder variieren – praktisch ein Dyson-Motto: wenig aber fein. Die Hintergründe sind stylisch minimalistisch, oft mit pastelliger Atmosphäre. Auf allen Platformen zeigt sich feine Darstellung, konstante Framerate und stabile Textauflösung. Es gab keinerlei Performance‑Einbrüche oder Ruckler. Der Soundtrack ist entspannt und unaufdringlich – Klavier, leichte Streicher, manchmal ein ruhiger Indie‑Track – untermalt Dialogmomente angenehm und reflektiert die Nostalgie‑Stimmung. Sound‑Effekte beschränken sich auf Blätter‑Umblättern und sachte Türen‑Töne – sehr bewusst minimalistisch, gefällt aber angenehm.

Insgesamt schafft es das Spiel, eine zarte Liebesgeschichte in gemütlichem Tempo zu erzählen. Die Stärken liegen in der emotionalen Inszenierung, den fein gezeichneten Charakteren und der Ambivalenz zwischen Fiktion und Realität. Mayo darf sich selbst hinterfragen, Hijiri offenbart Schüchternheit und Witz – beide entwickeln sich spürbar über die Spielzeit. Die nüchterne Linearität mag manchen Spielenden fehlen – aber das Spiel will auch keine vollen Entscheidungsnetze, sondern fokusierte Charakterarbeit.

Einige Kritikpunkte: Manche Szenen wiederholen sich leicht, und die Beziehung wirkt stellenweise überraschend glatt – ohne allzu tiefgehenden Konflikt oder größere Spannungsbögen, wo unterschiedliche Entscheidungen mitunter etwas mehr Dynamik in die Geschichte gebracht hätten. Die Länge von 4–6 Stunden mag im Vergleich zu anderen Visual Novels etwas kurz wirken – doch das Tempo hat besser auf den Punkt. Wenn man mehr Ausdehnung sucht, könnte das eintönig werden. Und ja: Wenn man visuellen Prunk oder Animationen erwartet, wird man nicht finden – es ist schlicht, aber effektiv. Jedoch wer eine lineare Geschichte mit Herz, LGBTQ‑Romantik und nostalgischem Flair erleben will, ist hier goldrichtig. Es verzichtet auf große Dramen und Interaktion – gewinnt aber dadurch an Intensität und Fokus. Die Zielgruppe liegt in Visual‑Novel‑Leser:innen, Fans von slice‑of‑life‑Romanzen und denen, die kleine Indie‑Schätze mit feinen Dialogen und charmanter Ästhetik lieben. Jeder, der mit Literatur, Fandom‑Thematiken und lesbischer Liebe etwas anfangen kann, sollte es sich anschauen. Gebt Mayo und Hijiri eine Chance – es lohnt sich, auch wenn man eher Zuschauer, statt Spieler ist.
Entwickler: ebi‑hime
Publisher: Ratalaika Games
Erhältlich auf: PC, PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X/S, Nintendo Switch
Getestet auf: Xbox Series X
NB@06.08.2025
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Zur Erstellung dieses Reviews wurde uns vom Publisher ein unentgeltlicher Key für das Spiel zur Verfügung gestellt. Wir danken vielmals für die Unterstützung, weisen aber darauf hin, dass dieser Umstand keine Auswirkung auf unsere Bewertung hat!
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