In Visual Novels findet man sich immer wieder mit den gefühlt gleichen Geschichten über Liebe, Schwärmerei, oder auch das ein oder andere Mysterium konfrontiert, doch echten Horror gibt es für gewöhnlich nicht. Umso gespannter war ich auf „The Letter: A Horror Visual Novel“, das dieses Genre direkt mit in den Titel gepackt hat. – Und das ist kein Understatement, denn das von Yang Yang Mobile entwickelte und von Eastasiasoft entwickelte Spiel zieht starke Inspiration von den fiesesten Horrorfranchises, die das asiatische Kino zu bieten hat. Wer also mit Filmreihen, wie The Grudge, oder The Ring vertraut ist, hat zumindest eine vage Idee, wo die Reise hingeht…

Alles beginnt mit dem titelgebenden Brief, der uns als mehrere unterschiedliche Charaktere in ein düsteres Herrenhaus lockt und jedem ein ganz persönliches Motiv mit gibt… Das verlassene Anwesen, das Ermengarde Mansion soll eigentlich verkauft werden, was aber gar nicht so leicht ist, da es dort spuken soll. Eigentlich glaubt niemand und schon gar nicht die betreuenden Immobilienmaklerinnen an Geister, doch als eine der Malerinnen plötzlich verschwindet machen sich die Maklerin Isabella, Polizist Ash, der angehende Regisseur Zach und die Lehrerin Becca auf die Suche nach der vermissten Rose. Es dauert allerdings nicht lange bis Isabella von furchteinflößenden Halluzinationen geplagt wird und die bösen Geister verlangen von Isabella ihr „frische“ Opfer zu bringen…

Die Geschichte ist dabei überraschend düster und vielschichtig, denn neben den über 700.000 Worten, die die Dialoge im Spiel ausmachen bietet das Spiel 80 unterschiedliche und von Hand gezeichnete Hintergründe und durch die unterschiedlichen Entscheidungen im Spiel kann es über 50 Endszenarien geben. Selbstverständlich unterscheiden sich viele davon nur in Kleinigkeiten, aber dennoch wird einiges an Inhalt geboten und ähnlich wie bei den Spielen aus der Dark Pictures Anthology können wir direkt, oder indirekt für das vorzeitige Ableben einzelner Charaktere verantwortlich sein, die dann aus der Geschichte entfernt werden und mitunter an späteren Punkten fehlen, wenn wir ihre Hilfe gebrauchen könnten…

Was mich besonders dabei gefreut hat ist, dass das Spiel komplett vertont ist, denn wo andere Titel uns die Geschichte nur lesend aufnehmen lassen, kann man sich die Dialoge hier ganz entspannt vorlesen lassen, wobei man es durchaus auch mit guter schauspielerischen Leistung und glaubhaften Emotionen in der Performance zu tun hat. Einzig verwirrend kann anfangs die Erzählweise sein, denn die unterschiedlichen Kapitel bauen nicht linear aufeinander auf, sondern spielen sich zu unterschiedlichen Zeiten ab, weswegen stets eine Art Tagebuch aufrufen kann, wo Ereignisse und Hinweise in chronologischer Reihenfolge festgehalten werden. Das Spiel könnte uns allerdings etwas besser auf die Wichtigkeit des Tagebuchs hinweisen, damit man von der Handlung nicht komplett abgehängt wird.

Ähnlich wie andere Spiele des Genres gibt es auch in „The Letter: A Horror Visual Novel“ zwei unterschiedliche Spielmodi: Den reinen Visual Novel-Modus, der sich auf Texte, Dialoge und Entscheidungen beschränkt, sowie den Abenteuer-Modus, der das Spielgeschehen mit Minispielen auflockert. Zwar ist keine der Spiele wirklich anspruchsvoll und die meisten beschränken sich auf abgewandelte Quick Time Events, in denen wir beispielsweise Fotos von Geistern knipsen, Fahrstuhltüren aufhalten müssen oder unterschiedliche Verse eines Zaubers in der richtigen Reihenfolge aufsagen, was für Abwechslung sorgt. Allerdings müssen wir sie bestehen, um nicht ein Game Over zu bekommen, was etwas schade ist, da es die Immersion stört. Hier wäre es schon gewesen, wenn ein Versagen zu anderen Szenen geführt hätte, analog zu unterschiedlichen Entscheidungen.

Insgesamt hat mich das Spiel wirklich positiv überrascht und meine initiale Neugier würde nicht enttäuscht. Wir bekommen eine gruselige und gut durchdachte Geschichte, die man bereitwillig aufsaugt, wo es doch andere Vertreter aus der Visual Novel-Gattung gibt, wo es schnell etwas dröge werden kann und man verleitet ist die Skip-Taste zu betätigen. Das ist zwar durchaus auch möglich, wenn man ausschließlich auf den leicht verdienten Gamerscore aus ist, man beraubt sich aber dem spannenden Abenteuer, das sogar wirklich gelungen vertont ist, eine Tatsache, die ich immer noch nicht glauben kann, da sie im Genre so überaus selten vorkommt. Zwar können, durch die Handlung in unterschiedlichen Zeiten, die Abläufe anfangs etwas konfus wirken, doch das gut gemachte in-Game Log hilft dabei ungemein weiter. Es wäre schön, wenn wir öfters derart gelungene Vertreter des Genres sehen würden!
Entwickler: Yang Yang Mobile
Publisher: Eastasiasoft
Erhältlich auf: Xbox One, Xbox Series X/S, Nintendo Switch / PS4, PS5 (Q122)
NB@17.01.2022
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