Das Warten hat endlich ein Ende, denn mit „Tape 2: Rage“ setzt Don’tnod die Geschichte rund um vier Jugendfreundinnen fort und hebt die emotionale Intensität noch einmal spürbar an. Das geht sogar so weit, dass das Spiel damit von einem soliden Abenteuer zu einem nachhaltig denkwürdigen Erlebnis wurde. Doch am besten eins nach dem anderen… – Es versteht sich dabei wahrscheinlich von selbst, dass man „Tape 1“ gespielt haben muss, um „Tape 2“ zu folgen oder überhaupt spielen zu können, da beide Tapes aufeinander aufbauen.

Die Geschichte von „Lost Records: Bloom and Rage“ spielt in der fiktiven Kleinstadt Velvet Cove in den frühen 90er Jahren. Im Zentrum stehen die vier Hauptfiguren – Swann, Nora, Autumn und Kat. Nach einer Reihe rätselhafter und dramatischer Ereignisse während eines unvergesslichen Sommers entfremden sich die einst unzertrennlichen Freundinnen. Nun, Jahrzehnte später, kehren sie zurück, um sich ihrer Vergangenheit zu stellen und herauszufinden was damals wirklich passiert ist und dazu geführt hat, dass man sich 27 Jahre nicht gesehen hat.

Nachdem „Tape 1: Bloom“ zwar ein solides Fundament gelegt hat, aber uns am Ende fast mehr Fragen unbeantwortet ließ als ich persönlich erwartet hatte, setzt „Tape 2: Rage“ nahtlos am Ende an, vertieft den Konflikt in der Gruppe spürbar und liefert im Verlauf in allen Belangen ab: die scheinbar heile Fassade der Freundschaft beginnt zu bröckeln, Geheimnisse kommen ans Licht, die jede der Frauen lieber begraben hätte. Selbstverständlich muss ich an dieser Stelle auf weitere Details verzichten, um nicht zu Spoilern. Der Vollständigkeit halber möchte ich aber erwähnen, dass am Ende auch nicht alle offenen Fragen beantwortet werden, womit ich persönlich kein Problem hatte. Ich genieße es eher, wenn Spiele, wie auch Filme nicht alles auf dem Silbertablett servieren, sondern Raum zur Interpretation liefern. Sonst wären Filme wie „Shutter Island“ wahrscheinlich auch nur halb so gut. Und ähnlich verhält es sich auch mit „Lost Records: Rage and Bloom“, oder auch damals schon beim ersten Teil von Life is Strange, für das bis heute immer noch interessante Theorien und Interpretationen kursieren…

Spielerisch setzt „Tape 2: Rage“ auf ein bewährtes Konzept: die Interaktion mit der Umgebung, das Sammeln von Erinnerungsfragmenten und das Treffen schwerwiegender Entscheidungen stehen im Vordergrund, wobei es selbstverständlich nicht immer 100% durchschaubar ist welche Entscheidungen in welchen Konsequenzen münden. Zumal die Konsequenzen auch nicht analog zu einer Entscheidung, sondern als Summe unterschiedlicher Entscheidungen vom Spiel bestimmt werden, was die Geschichte insgesamt runder wirken lässt. In Sachen Gameplay verzichtet das Spiel bewusst auf Actioneinlagen oder zu komplexe Rätsel. Stattdessen wird das Tempo von der Erzählung getragen, was das Erleben der Charakterentwicklung umso intensiver macht. Besonders hervorzuheben ist das Dialogsystem, das emotionale Nuancen erlaubt und – wie bei „Tell Me Why“ – den Verlauf der Beziehungen spürbar beeinflusst. Das teilweise zu stark abweichenden Verläufen der Geschichte oder einem gänzlich anderen Ende mündet. Offiziell gibt es keine konkrete Anzahl von enden, aber ich konnte in mehreren Durchläufen drei unterschiedliche Enden der 2022-Timeline und jede Menge inhaltliche Variationen sowohl im Ende dieser, aber auch der 1995-Timeline identifizieren.

Wie schon bei „Tape 1“ überzeugt das virtuelle Veltet Cove mit seinem lebendigen Design, das immer wieder von melancholischer Schwere durchzogen ist. Im Vergleich zum ersten Teil gibt es zwar nur wenig neue Areale, aber die haben es sowohl spielerisch, aber auch Inszenatorisch in sich, ohne damit zu viel zu verraten. Die Steuerung ist unverändert präzise und intuitiv gehalten; auf der Xbox Series X, sowie der PS5 fühlt sich das Navigieren flüssig und reaktionsschnell an, wobei ich davon ausgehe, dass das auf anderen Plattformen identisch sein wird. Der Schwierigkeitsgrad richtet sich weniger an motorische Fähigkeiten oder das Lösen komplexer Rätsel, als vielmehr an die emotionale Auseinandersetzung mit der Geschichte – eine bewusste Designentscheidung, die „Tape 2“ deutlich von klassischen Adventures unterscheidet.

Grafisch setzt „Lost Records: Bloom and Rage – Tape 2: Rage“ Maßstäbe in seinem Genre. Die Farbpalette schwankt zwischen sonnengetränkten Rückblenden und den kühlen Tönen der Gegenwart und verleiht dem Spiel eine fast poetische Bildsprache. Auf der Xbox Series X läuft das Spiel konstant in nativer 4K-Auflösung bei stabilen 60fps. Auch auf der PS5 und PC präsentiert sich die Grafik beeindruckend, wobei auf weniger leistungsstarken PCs leichte Einschränkungen bei Schatten- und Partikeleffekten spürbar sein dürften. Besonders hervorzuheben ist die Liebe zum Detail in den Charakteranimationen – kleine Blicke, zögerliche Bewegungen oder nervöse Gesten tragen mehr zur Erzählung bei als Worte es könnten. Der Soundtrack untermalt die Erlebnisse perfekt: eine Mischung aus Indie-Rock, Lo-Fi und atmosphärischen Ambientklängen fängt die Gefühlslage der Charaktere ein, während sich dezente Hintergrundgeräusche wie Wind in den Bäumen oder das Rauschen des Ozeans nahtlos einfügen.

Entwickelt wurde „Lost Records: Bloom and Rage“ von Don’tnod, dem Pariser Studio, das sich spätestens seit „Life is Strange“ und „Tell Me Why“ einen festen Platz in den Herzen narrativer Spieler erobert hat. Als Publisher fungiert Don’tnod selbst, nachdem sie sich von ihren früheren Partnerschaften unabhängiger aufgestellt haben, um die volle kreative Kontrolle über ihr Spiel zu behalten. So spürt man definitiv, wie Don’tnod Erfahrungen aus ihren früheren Spielen verfeinert und vertieft hat. Wo „Life is Strange“ manchmal noch etwas unbeholfen in seinen Mechaniken wirkte, ist „Lost Records“ eine beeindruckend elegante Evolution des Erzähladventures. Die Entwicklung von „Lost Records“ begann bereits kurz nach der Veröffentlichung von „Twin Mirror“ und ist stark geprägt vom Wunsch, kleinere, persönlichere Geschichten zu erzählen, die dennoch die gleichen emotionalen Tiefen erreichen. Ursprünglich angekündigt im Sommer 2023, wurde das Projekt mehrfach verschoben, um dem Team die nötige kreative Freiheit zu sichern – eine Entscheidung, die sich im Endergebnis mehr als bezahlt macht. Wenn es nach den Entwicklern geht wird es übrigens nicht das letzte Spiel um Lost Records bleiben, sondern man plant das Setting in eine eigene Reihe mit unterschiedlichen Spielen auszubauen, wobei bisher keine Informationen darüber vorliegen, ob es sich dabei um direkte Fortsetzungen oder losgelöste Geschichten im gleichen Kosmos handeln wird.

Insgesamt handelt es sich bei „Lost Records: Bloom and Rage – Tape 2: Rage“ um ein wirklich gelungenes Spiel. Es ist ein leiser, aber eindringlicher Triumph des narrativen Game Designs. Es richtet sich klar an Liebhaber emotionaler Geschichten, die weniger Wert auf actionreiche Unterhaltung, sondern mehr auf zwischenmenschliche Dynamik und Atmosphäre legen, wobei es im Verlauf von „Tape 2“ auch einige Nervenaufreibende Momente gibt. Wer sich darauf einlässt, wird mit einer tief bewegenden Erfahrung belohnt, die lange nach dem Abspann nachwirkt. Fans von Spielen wie „Life is Strange“, „Tell me Why“ oder auch „Firewatch“ sollten unbedingt einen Blick wagen – sie werden sich in Velvet Cove verlieren und vielleicht auch ein kleines Stück ihrer eigenen Jugend wiederentdecken…
Entwickler: Don’tnod
Publisher: Don’tnod
Erhältlich auf: PC, PS5, Xbox Series X/S
Getestet auf: Xbox Series X
NB@01.05.2025
——— Hinweise & Disclaimer: ———
Zur Erstellung dieses Reviews wurde uns vom Publisher ein unentgeltlicher Key für das Spiel zur Verfügung gestellt. Wir danken vielmals für die Unterstützung, weisen aber darauf hin, dass dieser Umstand keine Auswirkung auf unsere Bewertung hat!
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