Nachdem ich persönlich mit „Life is Strange 2“, nach einer anfänglichen Euphorie leider langfristig nicht ganz warm geworden bin, da die Geschichte für meinen Geschmack zu geradlinig, stellenweise konstruiert und weit hinter dem Potential des französischen Entwicklerstudios war, hegte ich immense Hoffnung, dass wir mit dem nächsten Projekt vielleicht eine Rückkehr von Max und Chloe aus „Life is Strange“ und gleichzeitig eine Rückkehr zu alter Stärke bekommen würden. Und zumindest eine Hoffnung wurde dabei vollends erfüllt, dem ich aber nicht vorweg greifen möchte…

Das neue Episodenspiel Dontnod, „Tell Me Why” wurde dieses Mal von den Xbox Game Studios produziert und erscheint daher exklusiv auf Microsoft’s Ptafformen (Xbox One und Windows 10) in insgesamt drei Episoden, die im Abstand von jeweils einer Woche veröffentlicht wurden und das Spiel mit dem finalen Release gestern abgeschlossen haben. Mir wurde dankenswerter Weise einen Review Code mit Vorabzugriff auf alle Episoden gewährt, sodass ich nun alle Episoden intensiv und mehrfach durchspielen konnte, um nicht nur einen, sondern unterschiedliche Verläufe der Geschichte zu erleben. Denn auch wenn der Titel eine neue Reihe suggeriert, so ist vom Spielprinzip alles mehr oder minder beim alten geblieben: Das Spiel kann grob dem Adventure-Genre zugeordnet werden, auch wenn es inhaltlich mehr Fokus auf die Geschichte, anstatt Rätsel legt, wobei es dabei auch ein paar nette Knobelaufgaben im Spiel gibt, von denen sogar einige komplett optional sind, weswegen es sich durchaus empfiehlt die Spielwelt genau zu erforschen. An bestimmten vordefinierten Punkte in der Geschichte können wir durch das Treffen von Entscheidungen den weiteren Verlauf der Geschichte beeinflussen.

Im Gegensatz zu den „Life is Strange“ und „Life is Strange 2“, also abseits von dem Spin-Off „Life is Strange: Before the Storm“, das nicht von Dontnod stammte, ist der starke Fokus auf übernatürliche Kräfte, die jedes der beiden Spiele in seiner ganz eigenen Form mit sich brachte, einer sehr viel emotionaleren Geschichte, die gleichzeitig so aktuell ist, wie keins der Spiele zuvor. Denn entgegen einem Fall über eine vermisste Freundin, einen Serienkiller, oder die Flucht vor der Polizei beschäftigt sich „Tell Me Why“ hauptsächlich mit Fragen der eigenen Identität, der sexuellen Orientierung, der Reflektion der Außenwelt und die Konsequenzen der eigenen Handlungen, indem wir abwechselnd zwei Charaktere steuern, die als Zwillinge eine enge Verbundenheit haben und nach zehn Jahren der Trennung, nach dem gewaltsamen Tod der Mutter, wieder aufeinander treffen. – Alyson hat ein behütetes Leben ihrer Heimatstadt geführt und Tyler, der mittlerweile als Mann lebt, ist ein einer Einrichtung für schwer-erziehbare Jugendliche aufgewachsen, da er anscheinend wahnsinnig gewordene Mutter in Notwehr getötet hat. Beide treffen im Alter von 21 Jahren wieder in der Heimatstadt aufeinander, um das Familienanwesen zu verkaufen und die verlorene Zeit aufzuarbeiten, die an beiden nicht spurlos vorbei gegangen ist.

Zwar gibt es darüber hinaus auch noch ein ziemlich spannendes Geheimnis zu lüften, was genau zum Tod der Mutter geführt hat, da diese aus heiterem Himmel wahnsinnig vor Angst mit einer Schrotflinte auf ihre Kinder losgegangen ist, doch zweifelsfrei stehen Charakterzeichnung und die persönliche Entwicklung, die immer noch als „abseits der Norm“ angesehen wird. Um herauszufinden, was passiert ist besitzen die Zwillinge eine besondere Gabe: Sie können Relikte der Vergangenheit spüren und sichtbar machen. So sind wir live dabei, als die beiden sich an glücklichere Szenen ihrer Vergangenheit erinnern, um diese im Kontext von allem, was danach passiert ist, einzuordnen. Viel mehr kann man leider nicht über die Geschichte sagen, ohne zu tief ins Spoiler-Territorium abzuweichen. Doch auch wenn ich anfänglich nicht genau wusste, was ich von der Story halten sollte, so hat mich diese nach kürzester Zeit absolut in ihren Bann gezogen und hält über den Verlauf drei Episoden nicht nur einige Überraschungen, sondern auch völlig unerwartete Wendungen bereit.

Wie man es bereits aus den Life is Strange-Spielen, aber auch der Konkurrenz von Telltale kennt, ist das allgemeine Erzähltempo eher gemächlich und gibt dem Spieler genug Zeit größere Areale in der Spielwelt frei zu erkunden, Gespräche mit NPCs zu führen und jede Menge interessantes, abseits der eher linearen Geschichte, zu finden. Weiter wartet das Spiel mit einigen wirklich interessanten Rätseln auf, die organisch in das Spiel eingebunden sind und dadurch nicht wie sinnlose Spielzeit-Streckung wirken. Darüber hinaus gibt es auch in regelmäßigen Abständen die für das Genre charakteristischen Entscheidungen zu treffen, die mal mehr, mal weniger Einfluss auf den Verkauf haben und am Ende einer jeden Episode zusammenfassend Relation zu den anderen Spielern aufgelistet werden. Da die Handlung durch die Entscheidungen unterschiedliche Verläufe nehmen kann, bietet das Spiel auch einiges an Widerspielwert und gleichzeitig fragt man sich selbst beim wiederholten Spielen, welches die „beste“ Entscheidung ist.

Technisch baut das Spiel auf den vorherigen Spielen in Sachen Engine und Ästhetik auf, was sich am deutlichsten in dem schon fast wie von Pinselstrichen durchzogenen und von Indie-Musik untermalten kunstvollen Stil äußerst. Allerdings setzen Dontnod in Bezug auf Details und besonders die tollen Licht- und Schatteneffekte noch gehörig eins drauf und zum ersten Mal ist die Synchronisation sogar Lippensynchron zu den Animationen. Und auch ein Hauptkritikpunkt von „Life is Strange 2“ gehört der Vergangenheit an, da wir zwar weniger Abwechslung in den Arealen per se haben, da wir viele Locations in den Episoden mehrfach besuchen, aber dafür jedes Mal aus Neue kleine Veränderungen entdecken dürfen, die der ohnehin malerischen Spielwelt in den Bergen von Alaska einen sehr viel realistischeren Gesamteindruck verleiht.

Insgesamt ist „Teil Me Why“ wirklich ein tolles Spiel und gleichzeitig eine Rückkehr zu alter Form für Dontnod geworden. Zwar ist die Geschichte insgesamt komprimierter, da sie statt der üblichen fünf, nur über den Verlauf von drei Episoden erzählt wird, doch das schlägt sich nicht in merklich geringerem Umfang nieder. Ganz im Gegenteil, denn selbst abseits der Narrative gibt es einige wirklich anspruchsvolle Themen, die quasi fast nebenbei thematisiert werden, wie die alltäglichen Herausforderungen, die Trans-Mann Tyler durchlebt. Am Ende bleibt eine sehr emotionale und mitreißende Geschichte, die man sogar direkt zum Release vollkommen gratis innerhalb des Game Pass erleben kann und die man mit Sicherheit nicht so schnell vergessen wird…
Entwickler: Dontnod
Publisher: Xbox Game Studios
Erhältlich auf: PC, Xbox One
NB@11.09.2020
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