Die Watch Dogs-Reihe kämpft seit dem ersten Teil mit etwas wie einer Identitätskrise, da man es nicht zu schaffen scheint die Kritiker zufrieden zu stellen. Aus diesem Grund hat Ubisoft beim dritten Teil der Reihe auch besonderes Augenmerk auf die Qualität gelegt und das Spiel gleich mehrfach verschoben, bis es nun endlich erschienen ist. Es bleibt allerdings herauszufinden, ob das Spiel es geschafft hat seine Identität zu finden, was ich mir ganz genau angesehen habe. Dafür wurde mir dankenswerterweise vom Publisher ein kostenfreier Code für die Xbox zur Verfügung gestellt, was aber selbstverständlich keinen Einfluss auf meine Bewertung hat.

Doch schauen wir uns zunächst mal an, wo die Reihe herkommt, bevor wir in den neuen Teil einsteigen. Handelte es sich beim ersten Teil, damals noch als „Watch_Dogs“ betitelt, noch um einen düsteren und überaus ernsten Rachethriller, der Anleihen von den damals populären Werken von Stieg Larsson, etwas „1984“ und einer Prise Robin Hood zog, so kam das Spiel nicht überall gut an. Viele wurden, neben dem allgemeinen Ton des Spiels, mit Aiden Pierce als Hauptcharakter nicht ganz warm und kritisierten zusätzlich das teilweise restriktive Missionsdesign, sowie das allgemeine Downgrade der Grafik im Vergleich der ersten Trailer, bis zum fertigen Spiel.

Aus diesem Grund entschied man sich für den Nachfolger „Watch Dogs 2“ nicht nur etwas am Ton zu ändern, sondern wechselte auch gleich Aiden Piece als Hauptcharakter aus. So verlegte man den Schauplatz von regnerischen Chicago in das sonnige San Francisco, führte mit Marcus Holloway einen jüngeren und fröhlicheren Hauptcharakter ein, der sich gleich einer ganzen Gruppe von Hackern anschloss und legte den Fokus eher auf coole Sprüche, irre Stunts und jeder Menge „Hipstertum“, was die Story an sich schon fast in den Hintergrund treten ließ, was schade ist, denn Potential hatte beide Spiele.

Insgesamt kam der zweite Teil zwar besser an, doch viele störten sich abermals am Hauptcharakter und der teilweise zu albernen Ausrichtung, weswegen es bei „Watch Dogs: Legion“, ähnlich wie bei „Assassin’s Creed: Valhalla“ wieder einen Schritt zurück geht und eine Art von Kurskorrektur vornimmt. So ist der allgemeine Ton wieder ernster, greift mit illegalem Menschen- und Organhandel wieder Themen des ersten Teils auf und wechselt nicht nur sie Stadt, sondern den Kontinent, denn das neue Spiel ist in Großbritannien’s Hauptstadt London angesiedelt. Und was den Hauptcharakter angeht sind wir dieses Mal vollkommen frei und können mit fast jedem NPC der Welt in den Kampf ziehen und ihn zu unserem Avatar machen…

Selbst ohne Brexit-Debatten ist etwas faul in London und nachdem wir uns im Prolog noch mit einem an „Kingsmen“ erinnernden Hacker durch die Houses of Parlament kämpfen, um einen Terroranschlag zu vereiteln, so stehen uns danach quasi alle Möglichkeiten offen. Denn leider ist unsere Mission im Prolog zum Scheitern verurteilt, da uns der Hacker Zero_Day in eine Falle gelockt hat. In der ganzen Stadt explodieren gleichzeitig Bomben und unser charismatischer Gentleman-Hacker verliert sein Leben. Dedsec, die Hacker-Bande aus dem zweiten Teil, zu deren britischen Ableger unser Held im Prolog angehört hat, wird für das Desaster verantwortlich gemacht, die Mitglieder werden als Terroristen gebrandmarkt und in London erhebt sich ein totalitäres System. Und das wird mit Hilfe des Privatarmee namens Albion aufrechterhalten, die mit Gewalt und Einschüchterung vorgeht. Und es liegt an uns einen Widerstand zu gründen, der Gewaltherrschaft ein Ende zu bereiten und nebenbei herauszufinden, wer hinter Zero_Day steckt, damit wir Dedsec wieder rehabilitieren können.

Spielerisch sieht das dann so aus: wir haben am. Anfang die Auswahl aus einem von knapp ein Dutzend unterschiedlicher Charaktere, die sich sowohl durch Aussehen, Ausrüstung und Jobs unterscheiden. Und gerade letzteres bestimmt die besonderen Fähigkeiten, die einen Charakter von anderen abheben. Dieser Charakter bildet dann unseren Startpunkt und im Spiel selbst können wir dann weitere Charaktere für unser Raster rekrutieren, was gerade in Hinsicht auf die unterschiedlichen Fähigkeiten ein wahrer Gamechanger sein kann. Zwar haben alle Charaktere Grundfähigkeiten, wie eine Betäubungspistole, oder grundlegendes Hacking, doch die Unterschiede gibt es bei den Spezialfähigkeiten. So haben zum Beispiel Bauarbeiter Zugriff auf Lastendrohnen, die man verwenden kann, um sich selbst darauf in unerreichbare Gebiete zu fliegen, Rennfahrer haben Zugang zu flotten Schlitten, die man jederzeit herbei rufen kann, Hacker können auf weitere Distanzen oder auch spezielle Technik hacken und Albion-Mitarbeiter (ja, wir können auch Gegner rekrutieren!) können sich unbehelligt durch feindliche Gebiete bewegen.

Das hat zur Konsequenz, dass wir die Missionen in vielen unterschiedlichen Wegen abschließen können, spielerische Freiheit, die in den Vorgängern nur in Ansätzen möglich waren. Wer will kann also mit Waffengewalt direkt angreifen, doch man kann sich auch reinschleichen, verwendet unsere kleine Roboterspinne per Fernsteuerung, oder finden gar Wege ans Ziel zu kommen, ohne das Gebäude überhaupt zu betreten. Diese Freiheit bringt allerdings auch ihre Schattenseite mit sich, denn der ernste Ton der Story beißt sich mitunter mit unserer Charakterwahl, wenn wir zum Beispiel eine lebende Statue, oder einen Zirkusclown spielen, wirkt selbst eine Mission, oder Zwischensequenz über illegalen Organhandel, ungewollt komisch, zumal sich auch keiner der NPCs an unserer Figur zu stören scheinen. Und da wir jederzeit zu den anderen Figuren wechseln können, bleiben alle Figuren nur recht oberflächlich und es gibt keinerlei Charakterentwicklung.

Wo die Charaktere zwar insgesamt etwas blass bleiben, umso mehr Charakter bietet die Spielwelt. Denn Ubisoft hat sich ganz schön ins Zeug gelegt sie Spielwelt so authentisch und lebhaft wie möglich zu gestalten. Diese Version von London scheint zwar etwas fortschrittlicher zu sein, als wir es gewohnt sind, da Drohnen und Hologramme das Stadtbild zieren, doch sowohl die einzelnen Stadtteile mit ihrer eigenen Identität sind, ebenso wie die Sehenswürdigkeiten sind vorhanden. Wir können also trotz Lockdown den Buckingham-Palace, den Piccadilly Circus, oder auch Covent Garden besuchen, was selbst virtuell ziemlich beeindruckend wirkt. Als ich zufällig während einer Mission am Piccadilly Circus vorbeikam konnte ich mich gar nicht zurückhalten aus dem Auto auszusteigen und die Mission zu unterbrechen, bis ich meinen virtuellen Rundgang beendet hatte.

Die offene Spielwelt beherbergt analog der sogenannten Ubisoft-Formel sowohl Haupt-, wie auch Nebenmissionen und Sammelobjekte, wobei letztere massiv zurückgefahren wurden, da sie oft eher aufgesetzt wirkten. Hingegen hat man versucht den Missionen mehr Sinnhaftigkeit zu geben, was größtenteils auch gut funktioniert, auch wenn man der Vollständigkeit halber erwähnen muss, dass sich einige Missionen von ihrer Struktur doch sehr ähneln. So müssen wir oft irgendwo eindringen, um jemanden zu befreien, etwas zu finden, oder ähnliche Missionsziele zu erfüllen, was aber bei den anderen Teilen auch nicht anders war. Allerdings gibt es weniger sinnlose Icons auf der Karte und man hat stattdessen versucht selbst die Rekrutierung von neuen Charakteren immer in eine Mini-Storyline einzubinden. Wir bekommen also nichts geschenkt und lernen gleichzeitig etwas Hintergrund zu dem neuen Charakter. Denn entgegen der vorherigen Teile sind die NPCs insgesamt differenzierter, da man ja potentiell jeden rekrutieren könnten. Der Zufallsgenerator, der dabei zum Einsatz kam hat ganze Arbeit geleistet, denn ich konnte keine Kopien von anderen Charakteren finden, sondern jeder war wirklich einzigartig, was sogar bis zu komplett unterschiedlichen Vertonungen geht. Dabei habt man zwar nicht hunderte Leute, sondern lediglich zwanzig Männer und Frauen einsprechen lassen und die Stimmen mittels KI soweit ändern lassen, dass man genug unterschiedliche hat.

Technisch macht das Spiel sowohl auf der Current-, wie auch der Nextgen eine gute, aber nicht herausragende Figur, was wahrscheinlich daran liegt, dass das Spiel zum Generationenwechsel erschienen ist und auf beiden ähnlich gut lauffähig sein soll. Die Xbox One verfügt über weniger Details, längere Ladezeiten und auch Raytracing ist selbstverständlich nicht vorhanden, aber auch wenn man noch auf der bisherigen Generation bleibt, ist es auf keinen Fall ein Dealbreaker. Dabei ist schön, dass Ubisoft den Käufern der Xbox One– und PS4-Version die kostenfreie Upgrade-Möglichkeit bietet und auch der Spielstand übertragbar ist. Wer also irgendwann umsteigt kann dann auch die Vorteile genießen, ohne jetzt auf das Spiel verzichten zu müssen. Auf der Xbox Series X/S sieht das Spiel schöner aus, läuft insgesamt flüssiger, verfügt über einige tolle Raytracing-Effekte und die Ladezeiten sind massiv zusammen gestaucht. Am eklatantesten sind mir dabei die Ladezeiten, die den Spielfluss jedes Mal unterbrechen, wenn man ein größeres Gebäude betritt, dieses wieder verlässt, oder auch den Charakter wechselt, was mich auf der Lastgen manchmal dazu bewegt hat, den Wechsel doch sein zu lassen, weil ich nicht warten wollte, aufgefallen. Weiter ist die Framerate so ein Thema. Zwar läuft auch die Nextgen-Version lediglich auf 30fps, was aber bei Open Word-Spielen im Grunde gang und gebe ist, doch diese ist wahnsinnig stabil. Auf der Lastgen kann es bei hektischeren Szene schon mal stärkere Ruckler oder Tearing geben, doch auf der Nextgen war davon nichts zu spüren.

Da es sich um ein Open World-Spiel handelt müssen wir uns auch viel von A nach B bewegen. Dazu stehen wieder viele unterschiedliche Fahrzeuge, von Autos über Lastern, bis hin zu Motorrädern und Mopeds zur Verfügung. Das Fahrverhalten ist zwar nicht mit Rennspielen vergleichbar, macht aber insgesamt dennoch eine gute Figur, auch wenn ich mich selbst immer wieder dran erinnern musste auf der linken Straßenseite zu fahren, wofür das Spiel aber nichts kann. Wie vergangene Teile der Reihe wird auch „Watch Dogs: Legion“ wieder rüber einen asynchronen Multiplayer verfügen, mit dem man unter anderem in Spiele anderer Spieler eindringen kann, was ich im Erstling schon sehr spaßig fand. Diese Modi stehen allerdings erst ab dem dritten Dezember zur Verfügung, weswegen ich diese zur Zeit nur in Aussicht stellen, aber nicht testen konnte.

Insgesamt hatte ich mit der knapp 25-stündigen Kampagne eine Menge Spaß, wobei man sagen muss, dass die Spielwelt auch danach noch viele weitere Missionen und versteckte Details bereithält. Interessanterweise funktioniert das Modell mit dem rekrutieren von NPCs wirklich gut und eröffnet viele unterschiedliche Wege, sowie selbstverständlich auch allerlei abstruse Situationen, wenn man als Oma oder Klischee-Hooligan in bester James Bond-Manier einen feindlichen Bunker infiltriert und eine Wache nach der anderen ausschaltet. Natürlich bringt dieses System auch seine Nachteile, mit weniger Charaktertiefe und der simplen Austauschbarkeit eines Charakters mit sich, der aus dem Raster entfernt wird, wenn man den (optionalen) „Permadeath“-Modus aktiviert hat der Charakter in einer Mission getötet wird. Das kann zwar im Moment nerven, wenn man keinen dann keinen Bauarbeiter mehr im Team hat, aber lässt sich schnell durch eine neue Rekrutierung wieder beheben. Mir hat allerdings sehr gefallen, dass das Spiel wieder ernstere Töne anschlägt und auch nicht vor unangenehmen Themen, wie Faschismus, Menschenhandel, oder unsere stellenweise fragwürdigen Abhängigkeit zur Technik zurückschreckt. Besonders bin ich noch auf die Rückkehr von Aiden Piece und Wrench aus den beiden Vorgängern gespannt, die innerhalb des Season Passes ihre eigene Storyline bekommen werden, denn ich mochte sowohl beide Vorgänger, wie auch Aiden Pierce als Hauptcharakter des ersten Teils sehr und bin gespannt, wie man ihn in das neue Setting integriert.
Entwickler: Ubisoft Toronto
Publisher: Ubisoft
Erhältlich auf: PC, PS4, PS5, Xbox One, Xbox Series X/S
NB@20.11.2020
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