Knapp 1 Monat ist vergangen nach der Closed Beta von „Marvel’s Avengers“ und schon bekommt man das fertige Spiel, das durchaus die Antwort auf die Gebete eines jeden Comic- und MCU-Fans im Speziellen sein könnte. Und auch wenn mir die Beta sehr gefallen hatte, so wirkte sie dennoch etwas sehr abgehackt und ließ einige Fragen offen, insbesondere was man genau vom fertigen Spiel erwarten sollte. Es gab einfach viele Versatzstücke, die auf den ersten Blick nicht so recht zusammen gepasst haben, auch wenn ich damals schon vermutete, dass größtenteils nur der entsprechende Kontext fehlte. Um herauszufinden, ob meine Vermutung stimmt und was man insgesamt vom Spiel erwarten kann, wurde mir dankenswerterweise vom Publisher eine kostenfreie Version für die Xbox One für mein Review überlassen, was aber selbstverständlich keinen Einfluss auf die Bewertung hat.

Die erste Überraschung gibt es unmittelbar zu Anfang des Spieles, denn auch wenn es im Rahmen der Beta so aussah, als ob wir die erste Mission des Spiels spielen würden, so war das nur die halbe Wahrheit, denn die Version innerhalb der Beta war eine massiv gekürzte Version der dramatischen Ereignisse, die gleichzeitig die Prämisse des Spiels sind. Stürzten wir uns in der Beta direkt mit Thor, Iron Man, Hulk und Black Widow in den Kampf gegen Taskmaster, so fehlte sowohl in Zwischensequenzen, wie auch im Gameplay die eigentliche Hauptfigur der ersten Spielstunden: Kamala Kahn, alias Miss Marvel, sowohl bevor, wie auch nachdem sie Superkräfte bekommt. Es ist kein Geheimnis, dass Entwickler Crystal Dynamics, das Studio hinter der Tomb Raider-Prequel-Trilogie, gekonnt starke weibliche Charaktere in Szene setzt und „Marvel’s Avengers“ ist davon keine Ausnahme.

In der Haut von Kamala erleben wir sowohl die Feierlichkeiten des Avengers Day-Festes, wie auch die Katastrophe, der wir schon in der Beta beiwohnen durften, insgesamt nur ausführlicher und mit dem interessanten Perspektivwechsel zwischen Fan und Helden. Denn erst nachdem wir den Festplatz erkundet haben und dabei zufällig einem merkwürdigen Gespräch zwischen beiwohnen, das irgendwie schwer nach einer Verschwörung klingt, wir aber zu diesem Zeitpunkt der Geschichte nicht einordnen können, beginnt die geskriptete Intro-Sequenz, die wir aus der Beta kennen, als eine Gruppe militaristischer Terroristen unter Leitung des fiesen Taskmaster beginnt die Stadt ins Chaos zu stürzen. Wir schlüpfen danach in mehreren aneinander gehängten Sequenzen in die Schuhe von Thor, Iron Man, Captain America, Hulk und letztendlich Black Widow, bis wir Taskmaster in einem Bosskampf besiegen und die Gefahr vermeintlich gebannt ist.

Doch das ist weit gefehlt, denn das Ganze scheint nur ein Ablenkungsmanöver gewesen zu sein und irgendjemand im Hintergrund zieht dabei die Fäden. Der neue Helicarrier, der im Rahmen des Festes eingeweiht wurde, explodiert in einer radioaktiven Druckwelle, die Captain America in den Tod reißt. Durch die Radioaktivität wird nicht nur die Stadt restlos zerstört, sondern viele Menschen verlieren entweder ihr Leben, oder werden plötzlich mit Superkräften ausgestattet, die man zukünftig als. „Inhumans“ bezeichnet. In Folge dieser Ereignisse, die als A-Day in die Geschichte (des Spiels) eingehen sollen, werden die Avengers aufgelöst und jeder Mensch mit besonderen Kräften steht von dort an unter Beobachtung von AIM, einer Gesellschaft unter Leitung des renommierten Wissenschaftlers Dr. George Tarleton (alias M.O.D.O.K., dessen Verwandlung wir im Spiel beiwohnen dürfen), die die Kontrolle übernimmt.

Einige Zeit vergeht und Kamala gelangt durch Zufall in den Besitz eines Videos, das zeigt, dass die Ereignisse am A-Day keinesfalls ein Unfall waren, was sie selbst aber in den Fokus von AIM geraten lässt, die beginnen sie zu jagen, um ihr das komprimierende Material abzunehmen. Ihr bleibt lediglich die Flucht nach Vorne und sie beginnt nach einem Widerstand zu suchen, den es gegen das bestehende Regime geben soll, was sie nach kurzer Zeit auf Bruce Banner stoßen lässt, mit dessen Hilfe sie beginnen die Avengers wieder aufleben zu lassen, um die genauen Hintergründe der Verschwörung aufzudecken und die Menschheit vor ihrer größten Bedrohung zu beschützen…

Wie bereits im Rahmen der Beta vermutet, sind die Missionen innerhalb der Beta im finalen Spiel nicht direkt aneinander angeschlossen, was für sehr holprige Übergänge gesorgt hat. Im fertigen Spiel klappt das sehr viel besser und wir haben nicht nur mehr Zeit für Charakterentwicklung, sondern gerade der ausführlichere Einstieg steht dem Spiel sehr viel besser. Zwar gibt es dennoch auch immer mal wieder Missionen, die mehr als Füller anmuten, wo wir fast schon generische Missionsziele, wie „Verteidige einen Punkt X Minuten“, oder „Besiege alle Gegner an einem Ort“, doch da sich diese Missionen mit den bombastisch-inszenierten Setpieces, wie eine frühe Mission, in der wir erst Tony Stark rekrutieren und dieser sich danach durch sein Familienanwesen kämpfen muss und Stück für Stück einen (sehr provisorischen) Iron Man-Anzug zusammenbauen muss, während das Haus immer mehr dem Erdboden gleich gemacht wird.

Gerade diese Missionen sind das absolute Highlight und lassen uns nach und nach in die Rollen der unterschiedlichen Avengers schlüpfen, die jeweils ihre eigenen Fähigkeiten haben. Spielerisch ist das Spiel ein 3rd-Person-Actionspiel, das optisch an die Arkham-Reihe erinnert, auch wenn das Kampfsystem mehr die Züge eines Brawlers hat. Jede Figur verfügt über eine ähnliche Grundsteuerung mit leichter und schwerer Attacke, einem Konter- und Ausweichmove, sowie 3 Spezialattacken, die einem Cooldown unterliegen. Charaktere wie Iron Man, der sich im Grunde absolut identisch zu den Javelins aus „Anthem“ steuert, können fliegen und sind allgemein eher für den Fernkampf angelegt und andere, wie der Hulk sind eher fürs Grobe. Jeder Held hat ein eigenes Fortschrittssystem und kann durch gefundenes Loot verbessert, oder personalisiert werden. – Richtig gelesen, das Spiel ist kein normales Actionspiel, sondern ein Looter, was durch unterschiedlich-farbiges Loot mit Seltenheitsstufen in Ansätzen an die The Division-Reihe erinnert, obgleich selbstverständlich nicht so komplex. Und leider gibt es auch keine optische Veränderung, je nachdem welches Loot wir ausgerüstet haben, was ich immer überaus schade finde, wenn man in den Menüs beispielsweise den tollsten Brustpanzer oder Powerglove auswählt und sich das gar nicht auf den Avatar auswirkt. Im Rahmen der Kampagne kommt das an sich, wenn man mal davon absieht, dass man gefühlt kaum zwei Meter laufen kann, ohne neues Lobt zu finden, aber kaum zum Tragen. Anders sieht das aber im Multiplayer aus, der zwar separat vom Hauptmenü auswählbar ist, aber im Grunde eher das Endgame (nicht zu verwechseln mit dem Film) des Spiels darstellt und auf den ich gesondert eingehen werde.

Die allgemeine Inszenierung ist sehr hochwertig und orientiert sich dabei stark an den Kinofilmen, obwohl die Geschichte davon losgelöst ist und auch Charaktere auftreten, die man aus den Filmen, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht kennt, wie unter anderem der hauptsächliche Antagonist M.O.D.O.K., oder auch der Taskmaster, dem man ja schon in der Beta gegenüber stehen durfte. Dennoch mutet es nach wie vor merkwürdig an, dass zwar die Lizenz und die allgemeine Bildsprache, bzw. Ästhetik der Filme, aber nicht die Stimmen und das Aussehen der Darsteller aus den Filmen verwendet wurde. Zwar sind die echten Stimmen ohnehin eher eine Seltenheit, doch das Aussehen stört am Anfang und es wirkt eher, als ob man eine low Budget Kopie von den Avengers, anstatt das Original spielt. Zusätzlich stört die Immersion etwas, dass man sich bei den Sprechern für bekannte Stimmen entschieden hat, die zwar alle für sich sehr schätze, doch was mich hier immer wieder raus gerissen hat. So werden Tony Stark/Iron Man von Nolan North, Bruce Banner/Hulk von Troy Baker und Natasha Romanow/Black Widow von Laura Bailey gesprochen und irgendwie hat man dann immer deren andere Rollen vor Augen. So ist es geradezu komisch, wenn Bruce Banner sogar „Kiddo“ sagt, was dann sofort eine Assoziation mit Joel aus der The Last of Us-Reihe heranzieht.

In Sachen Multiplayer und Endgame ist das Spiel, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt leider etwas unausgegoren, da es diesbezüglich noch recht wenig Futter gibt. Wir schalten über den Spielverlauf neben den Story-Missionen auch optimale Multiplayer-Missionen frei, die wir mit einer unterschiedlichen Anzahl von Mitstreitern, die aus Freunden, Randoms, oder auch Bots bestehen können, angehen können. Im Rahmen der Geschichte haben wir allerdings noch nicht alle Helden freigeschaltet, oder aufgelevelt, weswegen man diesen Modus auch über das Hauptmenü separat angehen kann, obwohl man sich bewusst sein muss, dass man sich dabei mitunter einige Punkte innerhalb der Geschichte spoilert. Doch auch abseits davon fand ich den Multiplayer bislang leider noch wenig motivierend, da die Missionen leider recht uninspiriert daherkommen und immer gleich ablaufen und auch dem Weg vom Start zum Ziel die bereits erwähnten Missionsziele der Füller-Missionen enthalten, aber eben das Gegengewicht in Form der Setpieces fehlt. Das wird sich bestimmt noch ändern, wenn die angekündigten mehrstufigen Raids dazukommen, die aber bisher bis auf eine noch fehlen. So bleiben uns leider bisher nur die gleichen Missionen auf unterschiedlichen Schwierigkeiten, oder mit Buffs zu spielen, was sehr an die Anfänge von „The Division“ erinnert und leider schnell langweilig wird. Bleibt nur zu hoffen, dass man mit „Marvel’s Avengers“ in ähnlicher Form die Kurve kriegt und zeitnah neue Inhalte nachliefert. Weiter ist es etwas unschön, dass jeder Held nur einmal im Raster belegt werden kann. Zum momentanen Zeitpunkt mag das noch zu vernachlässigen sein, doch wenn man nach dem Release einen Charakter hochgelevelt hat und den dann nicht nehmen kann, weil jemand anderes ihn schon benutzt ist das leider etwas suboptimal, besonders wenn man bedenkt, das ja auch neue Charaktere hinzukommen, die dann mitunter jeder spielen möchte.

Insgesamt ist „Marvel’s Avengers“ wirklich ein gutes, wenn auch leider (bisher) nicht herausragendes Spiel. Die Kampagne hat zwar mit den Füller-Missionen stellenweise ein paar kleinere Hänger, was aber durch die Abwechslung zu den bombastischen Setpieces, die uns an anderer Stelle erwarten, mehr als verschmerzbar ist. Zudem hat die reine Kampagne mit etwa 12-14 Stunden eine angenehme Länge und lässt uns in die Haut aller unserer Lieblingshelden schlüpfen. Einzig Spider-Man macht hier eine kleine Ausnahme, denn für ihn liegen die Rechte an der Vermarktung allein bei Sony und auch wenn er mittlerweile seinen Weg in das MCU gefunden hat, ist er im Spiel rein der Version auf der PlayStation vorbehalten, was einigen Spielern nicht besonders gefällt. Natürlich wäre es bei so einem Spiel schöner gewesen, wenn alle Spieler, unabhängig ihrer Plattform den gleichen Umfang hätten, doch das ist in keiner Weise ein neues Phänomen und sagt meiner Meinung nach rein gar nichts über die Qualität des Spiels aus. Lediglich in Sachen Endgame muss auf jeden Fall noch etwas nachgelegt werden, wenn man die Fans langfristig an das Spiel binden möchte, was aber nur eine Frage der Zeit ist, zumal bereits eine ziemlich umfangreiche Liste an neuen Helden und Raids in Aussicht gestellt wurden.
Entwickler: Crystal Dynamics
Publisher: Square Enix
Erhältlich auf: PC, PS4, Xbox One
NB@21.09.2020
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