Ich muss ja zugeben, dass ich bis zuletzt gegenüber „Life is Strange 2“ etwas skeptisch war, je mehr Informationen darüber bekannt wurden. Ja, sogar während der ersten Stunde meines Spielens haben mich immer wieder Momente der Skepsis heimgesucht, bei denen meine innere Stimme mir die ungläubige Frage stellte, ob das wirklich Life is Strange ist, was ich hier spiele. – Ich war ein Fan der ersten Stunde des ersten „Life is Strange“ und auch das Prequel, „Life is Strange: Before the Storm“, das die (Liebes-)Geschichte von Chloe und Rachel in den Fokus setzte, fand ich wirklich gelungen. Besonders der erste Teil hat mich auf Grund seiner interessanten Charaktere und der Zeitreise-Thematik sehr begeistert und ich habe daher auch jeder neuen Veröffentlichung entgegen gefiebert.
Publisher Square Enix und Entwickler Dontnod hatten bereits vor einiger Zeit die Gratis-Episode „The awesome Adventures of Captain Spirit“ zur Einstimmung herausgebracht, die zwar ziemlich anders, als das was man bisher kannte war, aber durch oder gerade auf Grund der kindlichen und phantasievollen Sichtweise der Hauptfigur den Spieler sofort in seinen Bann zog.
Aber wieso war ich also skeptisch, wenn das an sich doch alles ganz positiv klingt. – Die Macher haben bereits VOR der Veröffentlichung des zweiten Teils bekanntgegeben, dass der zweite Teil keine wirklichen Berührungspunkte mit dem Vorgänger haben wird. Die Geschichte von Max, Chloe, dem Sturm, Arcadia Bay und Zeitreisen ist erzählt und Teil 2 konzentriert sich auf komplett andere Themen. Aber das waren genau die Sachen, die mir gefallen hatten und die sollen alle im Nachfolger nicht mehr enthalten sein? Wieso nennt man das Spiel dann eigentlich „Life is Strange 2“? Das ist ja im Grunde so, als ob in Terminator 2 kein Terminator mehr dabei wäre oder Aliens komplett ohne Alien auskommt…
Nichts desto trotz konnte ich dem Kauf der ersten Episode der zweiten Staffel, die am 26.09.2018 auf PS4, Xbox One und PC veröffentlicht wurde, nicht widerstehen. Dabei kann man sich entscheiden, ob man die komplette Staffel (mit allen 5 Episoden, die peu à peu veröffentlicht werden) für 39,99€, oder die erste Episode einzeln für 7,99€ ordert. Für alle, die sich erst mal mit der ersten Episode begnügen besteht danach die Möglichkeit ein zusätzliches Episode 2-5 Bundle für 32,99€ zu erwerben, damit man auch die zusätzlichen Inhalte bekommt. Ich auf Grund meiner Skepsis dieses Mal nur die erste Episode gekauft, muss aber zugeben, dass in seit dem Spielen schon das erweiterte Bundle nachgekauft habe, damit ich die kommenden Episoden ohne Verzögerung bekomme, auch wenn diese noch gar nicht erschienen sind.
Die erste Episode tritt ein schweres Erbe an, denn auf Grund dessen, dass fast alles aus der ersten Staffel, seien es Personen, Umgebung und auch Gameplay-Mechaniken, at Acta gelegt wurden, muss hier wirklich viel neues eingeführt werden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass wir keinen Spielstand aus den Vorgängern implementieren müssen. Es gibt lediglich eine Entscheidung vom Ende der ersten Staffel, für die wir als Dual-Choice-Auswahl auswählen müssen, wie wir uns entschieden haben. Allerdings scheint das spielerisch keinerlei Auswirkungen zu haben und verändert lediglich eine kurzen Gesprächsverlauf im zweiten Drittel der Episode etwas ab.

Bevor ich auf die Episode genauer eingehe, ein kurzer Disclaimer. Ich werde mich mit Spoilern auf das Nötigste beschränken und nur wenn nötig ins Detail gehen, aber einige Punkte, abseits der Grundprämisse müssen zur Verdeutlichung leider angesprochen werden: Unser neuer Protagonist ist Sean Diaz, der Sohn eines mexikanischen Einwanderers, der zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder in einem Vorort von Seattle lebt. Sein Leben ist nicht besonders spektakulär. Er geht noch zu High School und die Geschichte beginnt, als er sich mit seiner besten Freundin Lyla mental auf eine abendliche Party vorbereitet, auf der er sich endlich ein Herz fassen möchte, um seine heimliche Liebe Jenn endlich anzusprechen. Unsere ersten (spielerischen) Aufgaben, die gleichzeitig dazu dienen uns in die Steuerung und das System um Entscheidungen und Konsequenzen einzuführen, beschränken sich daher auf recht rudimentäre Aufgaben, die dazu dienen unseren Rucksack für die Party zu packen. – Packen wir Limo oder Bier ein, wo finden wir eine Decke, um eventuell mit Jenn drunter kuscheln zu können und wie schaffen wir es, dass uns der Vater noch etwas Taschengeld zusteckt? – So trivial wie die Entscheidungen dabei auch aussehen mögen, umso stärker kommen sie nur ein paar Minuten später zum Tragen, denn durch eine unglückliche Verkettung von äußeren Umständen und einer unerklärlichen kinetischen Explosion, bei dem leider auch ein paar Menschen sterben, findet sich Sean mit seinem Bruder Daniel kurze Zeit später einzig mit dem zuvor gepackten Rucksack auf der Flucht vor den Behörden wieder. Da wäre es im Nachhinein wirklich besser gewesen, wenn wir Limo statt Bier eingepackt hätten, aber wer hätte denn so was ahnen können…
Im Laufe dieser knapp 15-minütugen Eröffnungssequenz, die abläuft, bevor die Eröffnungscredits über den Bildschirm flimmern, bekommen wir bereits einige Einblicke in das Gefühlsleben unserer Protagonisten und hier zeigt sich, gepaart mit stimmungsvoller musikalischer Untermalung und einem Grafikstil, der an ein Pastellgemälde erinnert, dass Life is Strange wirklich wohl mehr ist, als nur die Geschichte von Max und Chloe. Sie kann eben auch die Geschichte von Sean und Daniel sein, die mit ihren Hoffnungen und Ängsten wie richtige Menschen wirken. Zusätzlich kommt noch eine weitere Komponente zum Tragen, denn jetzt müssen wir bei unseren Entscheidungen nicht nur an uns denken, sondern auch an den kleinen Bruder, der alles aufsaugt, wie ein Schwamm. Wir sind ein Vorbild für Daniel und jede Aktion kann, direkt oder indirekt, auf ihn abfärben, was wiederum zu Konsequenzen in der Geschichte führen kann.
Dieser Zustand gibt dem Spiel eine interessante und vollkommen neue Perspektive, denn wir werden in die Beschützer-rolle gegenüber Daniel gesteckt und müssen neben unseren Handlungen und deren Konsequenzen auch immer Daniel im Auge behalten. Daniel ist nämlich kein normaler Junge, denn die verheerende Explosion scheint unwissend von ihm ausgegangen zu sein und es zeichnet sich im Laufe der Episode deutlich ab, dass Daniel’s Emotionen ein Schlüssel dafür sind. Es kann also durchaus sein, wenn wir Daniel verärgern, dass buchstäblich die Bombe hochgeht. Da wir als großer Bruder aber sowieso drauf bedacht sind den kleinen Bruder zu beschützen, müssen wir auch im Spielverlauf auf ihn achten, denn es ohne unsere Hilfe kann er zum Beispiel kein Abhang herunter gehen oder einen umgestürzten Baum überqueren. Was zwar erst klingt, wie eine nicht enden wollende Beschützermission passt hier gut ins Spielgeschehen, da es nicht überladen ist und gleichzeitig für die emotionale Bindung zwischen den Hauptfiguren sorgt. Neben den physischen Auswirkungen müssen wir Daniel allerdings auch vor den psychischen Beschützen, denn Daniel hat die Ereignisse in Seattle komplett ausgeblendet und hat keinerlei Erinnerung daran. Ganz im Gegenteil, er ist davon überzeugt, dass die beiden Brüder lediglich auf einem Campingtrip sind und nichts Böses passiert ist. Sean hingegen hat einen Plan: Die Flucht nach Mexiko nach Puerto Lobos, dem Heimatdorf ihres Vaters. Die Frage ist nur, wie lange er die Scharade gegenüber Daniel aufrechterhalten kann und wie sie es überhaupt schaffen zu Fuß und mit dem was sie haben weiter zukommen. Denn ein brüderlicher Roadtrip an sich ist eine Sache, aber blöd ist nur, dass die Polizei nach den Brüdern sucht und sie so gut wie keine Vorräte und Geld dabei haben. So stellt uns das Spiel vor einige interessante Fragestellungen, ob wir an einem Rastplatz anfangen zu betteln, oder lieber unsere Würde behalten und nur etwas kleines zum Essen kaufen. Oder ob wir es gar versuchen zu stehlen, um nur einige der Entscheidungen zu nennen. Im Spiel gibt es wieder unzählige davon, die uns am Ende anhand einer Übersicht präsentiert werden.
Im Verlauf der Geschichte offenbart sich auch eine weitere Eigenheit von Life is Strange, denn einiges ist nicht so wie es am Anfang scheint. Denn so kommt es auch, dass selbst wenn man sich selbst nichts vorzuwerfen hat, man dennoch plötzlich von einem Hillbilly an einen Radiator gefesselt wird. Die menschlichen Abgründe haben auch schon im Erstling zu begeistern gewusst, aber hier sind sie um einiges realer, als zuvor. Nur jeder ist gleich ein Serienmörder, aber in einem Amerika, dass in der post-Trump-Ära von allem, was irgendwie anders ist ängstlich zurückschreckt, sind die Abgründe umso erschreckender, was im Spielverlauf der ersten Episode wirklich erschrecken kann und ein echtes Gefühl der Panik aufkommen lässt. – Hier wird also nicht nur unterhalten, sondern auch eine sehr reale Gesellschaftskritik implementiert…
Technisch wurde auf dem Grundgerüst des ersten Teils aufgebaut, ohne den Artstyle zu verfälschen. Die Grafik ist auf Grund der verbesserten Unreal Engine in Version 4 detailreicher und läuft auch flüssiger. Auch an den Charakteranimationen wurde gearbeitet und so sind diese im Spiel aufwendiger und auch die Lippenbewegungen passen diesmal zum Gesprochenen, was beim ersten Teil nicht immer der Fall war. Die bereits sehr starken Dialoge des Vorgängers wurde weiter ausgebaut und wirken mehr als lebensecht und man hat wirklich das Gefühl, dass es sich um ein authentisches Gespräch handelt.
Die erste Episode hat mir alle Zweifel, die ich vorher hatte genommen, wenn sie sich auch insgesamt sehr viel ruhiger präsentiert, als die erste Episode der ersten Staffel. Da diesmal die übersinnlichen Kräfte nicht von unserer Figur, sondern einer Nebenfigur ausgehen, wird sich zeigen müssen, wie diese Mechanik sinnvoll in das Spiel einfließt. Dennoch macht die Episode und der Cliffhanger am Ende durchaus Lust auf mehr und hat mich, wie bereits erwähnt, dazu verleitet das Add-On für die weiteren Episoden nach zukaufen. Leider stehen für die kommenden Episoden noch keine Release-Daten zur Verfügung, aber sobald es diesbezüglich etwas neues gibt, erfahrt ihr es selbstverständlich hier!
NB@04.10.2018
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