Ohne Zweifel war „Cyberpunk 2077“ eines der am meisten erwarteten und seit Jahren gehyptesten Spiele der letzten Jahre. Und wahrscheinlich hat auch mittlerweile jeder die mehr als holprige Veröffentlichung, die immense Kritik, sowohl am Spiel selbst, aber auch an Entwickler CD Project Red, wie auch die Folgen, seien es Verkaufsstopps im PSN, oder gar das Einleiten juristischer Schritte. Was viele allerdings vergessen ist, dass es sich immer noch um ein Spiel handelt, dessen Haupt-Augenmerk daran liegt, zu unterhalten. Und auch wenn es schlecht möglich ist das Spiel komplett losgelöst von den Umständen der Veröffentlichung zu betrachten, habe ich mir das Spiel für euch ganz genau angesehen und versuche so objektiv wie möglich darüber zu berichten, um die Frage zu beantworten, wie es wirklich um das Thema „Cyberpunk 2077“ steht. Das Spiel wurde mir dafür dankenswerterweise vom Publisher kostenfrei zur Verfügung gestellt, was aber keinen Einfluss auf meine Bewertung hat.

Basierend auf dem Pen&Paper-Rollenspiel „Cyberpunk 2020“, bzw. auch dessen Vorgänger „Cyberpunk 2013“ von Mike Pondsmith verschlägt es uns als Spieler nach Night City, eine Metropole zwischen urbanen Wohnblöcken, glatter Industrie-Architektur und Neon-Reklamen, was stark an die Bildsprache aus Blade Runner und Co erinnert und gerade im Vergleich zu anderen Open World-Spielen um einiges mehr an Identität mit sich bringt. So hat man versucht jedem Teil der Stadt eine nachvollziehbare Funktion zu geben, die man sich aus dem modernen Städtebau abgeschaut hat und man unterscheidet grundlegend aus drei unterschiedlichen Klassen: Den „Corpo“, das „Streetkid“ und den „Nomad“, die außerhalb der Stadt leben.

Zum Beginn des Spiels wählen wir für unseren Charakter namens V, den wir in dem umfangreichsten Editor, den ich je gesehen habe in Sachen Geschlecht, Nasen Form, bis hin zur Größe der primären Geschlechtsorgane frei gestalten können, eine der drei Hintergrundgeschichten, die allerdings nur den Einstieg in die Geschichte, sowie einige unterschiedliche Dialogentscheidungen mit sich bringen, doch leider hinter dem Potential zurückbleiben. Gleiches gilt leider auch für die Charaktereigenschaften, die von ihrer Ausprägung sehr an Fallout erinnern und uns seine Attribute, wie Stärke, Intelligenz, Technische Fähigkeiten, oder meinem persönlichen Favoriten „Coolness“ aufzuteilen, was ihm Spiel aber nur recht wenig Einfluss ausübt, wo hingegen es bei Fallout komplett neue Wege eröffnen kann. In etwa die ersten 30 Minuten des Spiels unterscheiden sich dann je nach Hintergrundgeschichte, doch dann, wenn das eigentliche Spiel beginnt, kommen diese am exakt gleichen Punkt an und verlaufen von dort an fast absolut identisch.

So suggeriert das Spiel zwar durch die offene Spielwelt und die umfangreichen RPG-Mechaniken Wiederspielwert, der nicht in dieser Tiefe vorhanden ist. V startet, mit unserer Hilfe versteht sich, seine Karriere vom Kleinkriminellen zum Söldner und nach ein paar kleineren Aufträgen bietet sich eine Chance, die ihn in der Szene groß rausbringen könnte. Sein bester Kumpel Jackie und er sollen unter falscher Identität in ein Luxushotel eindringen und aus einem versteckten Safe einen „Relikt“ stehlen. Soweit zum Plan aufwendig vorbereitet aber dennoch durch einen unvorhersehbaren Zwischenfall absolut schief geht und dafür sorgt, dass sich V am nächsten Tag mit dem von Schauspieler Keanu Reeves verkörperten Johnny Silverhand in seinem Kopf wiederfindet, was spielerisch an Handsome Jack in Telltale’s „Tales from the Borderlands“ erinnert, also Johnny kann nur von V gesehen und gehört werden, was ihn allerdings im Visier der der mächtigen Arasaka-Corporation landen lässt und gleichzeitig eine Wettlauf gegen die Zeit und Kampf auf Leben und Tod starten lässt.

Mehr kann man über die Geschichte leider nicht verraten, doch ich fand sie, auch wenn an ein paar Stellen leider vorhersehbar, ist sie durchweg spannend und gut erzählt. Besonders um den Zeitpunkt, wenn Johnny Silverhand in das Spiel eingeführt wird, gleicht die Story einer Achterbahnfahrt der Gefühle und man fiebert mindestens genauso mit, wie bei einem spannenden Kinofilm, mit dem einzigen Unterschied, dass wir als Spieler aktiv über den weiteren Verlauf der Geschichte entscheiden können, anstatt nur passiv zuzusehen. Da fällt es fast schon weniger ins Gewicht, dass der Hauptteil der Geschichte sehr linear verläuft und wir zwar den Weg, wie wir in den Abschnitten vorgehen beeinflussen können, wenn wir beispielsweise lautlos durch ein von Feinden besetztes Gebiet schleichen, oder mit gezogener Waffe durchrennen, aber wirkliche Unterschiede im Verlauf entweder gar nicht, oder nur recht selten gegeben sind, was jedoch erst auffällt, wenn man das Spiel mehrfach spielt.

Spielerisch ist das Spiel auf mehrere Mechaniken herunter zu brechen: Schießen, Fahren und allem, was der RPG-Baukasten so hergibt. Wir sehen das Geschehen aus einer klassischen First-Person-Ansicht, die meist Shootern vorbehalten ist und es gibt durchaus einige Abschnitte, die zweifelsohne aus einem Call of Duty, oder ähnlichem stammen könnten, doch zusätzlich zum Kampf, den wir wahlweise mit unterschiedlichen Feuerwaffen, Schlagwaffen, wie Metallrohren, oder Katanas, oder sogar komplett ohne Waffen mit einem ausgefeilten Faustkampf-System bestreiten können, gibt es auch die Option durch Hacking und Stealth andere Wege zu benutzen, oder ohne Gegnerkontakt durchzukommen, auch wenn das meist sehr viel anspruchsvoller ist, da es taktische Planung und Beobachtung erfordert. Wer die Deus Ex-Spiele kennt, wird wissen, was gemeint ist, auch wenn Deus Ex durch vielschichtigere Gadgets im Direktvergleich noch mehr Alternativen bietet. Doch gerade das Schießen macht den Unterschied, war es mir in Deus Ex immer eine unschöne Alternative, da es sich aufgesetzt anfühlte, so fühlen sich die Schusswechsel in Cyberpunk echt gut an und die Waffen haben auch einen schönen Wumms, obgleich man sich bewusst sein muss, da es sich um ein RPG handelt, nicht jeder Kopfschuss tödlich ist, sondern er lediglich schneller den Lebensbalken der Gegner leert, als Schüsse in den Körper. Die Schussgefechte fallen aber dennoch nicht so frustrierend aus, wie in „Tom Clancy’s The Divison 2“, wo man stellenweise das Gefühl hatte, man würde mit Platzpatronen schießen, da die Gegner die Kugeln aufsaugten wie ein Schwamm.

Es ist erfreulich, dass man es in dieser Beziehung nicht mit der Ausrichtung als RPG übertrieben hat, sondern die Implementierung organisch zum Spielgeschehen passt. Unterschiedliche Waffen machen unterschiedlichen Schaden und keiner der Gegner kommt einem vor, als ob man gegen den Hulk antritt, auch wenn man bei einigen Bossen, die das Spiel bereithält, erst einmal eine Schwachstelle identifizieren muss und einige Waffen für bestimmte Situationen besser geeignet sind, als für andere. Das spiegelt sich natürlich auch in der sonstigen Ausrüstung unseres Charakters wieder. Haben wir beispielsweise die Chance komplett nackt loszuziehen, ist die Wahrscheinlichkeit aber sehr hoch, dass wir umfallen, wenn wir nur angehustet werden. Um das zu umgehen bietet das Spiel vielschichtige Optimierungsmöglichkeiten, mit dem wir unseren Charakter von Kopf bis Fuss mit unterschiedlichen Items ausrüsten können, die man auch an jeder Stelle als Loot findet, oder alternativ auch kaufen kann. So wird man zwar nach jedem Shootout erst mal ein paar Minuten beschäftigt sein, alle Gegner zu looten, um auch noch eine paar rote Turnschuhe, oder einen Schutzhelm mit +25 Defense einzusammeln, doch ich habe mit derartigen Ausrüstungsmechaniken, wie auch erst kürzlich bei „Nioh 2“ immer einen immensen Spaß, wenn ich unterschiedliche Items gegeneinander abwiege, um das spielerisch und optisch beste Loadout zu finden. Da wir aber auch jede Menge Müll finden und nur ein begrenztes Inventar haben, sollte man regelmäßig zum Aufräumen ansetzen und den überzähligen Kram in Geld und Ressourcen umwandeln.

Denn das Spiel bietet gleich mehrere unterschiedliche Fertigkeitsbäume, in denen wir neue Fähigkeiten, aktive, oder passive Perks, oder auch unsere Charaktereigenschaften, die wir am Anfang des Spiels festgelegt haben, verbessern kann, wenn wir doch etwas mehr „Coolness“ haben wollen… – Diese Mechaniken sind zwar keineswegs Kriegsentscheidend und wirklich notwendig ist wahrscheinlich keine davon, doch die Möglichkeit den Charakter den eigenen Bedürfnissen anzupassen, sei es ein Haudrauf-Terminator mit jeder Menge an technischen Modifikationen, oder ein Cyber-Ninja, das Spiel unterstützt uns dabei. Die einzige Mechanik, die mir bis zum Ende nicht so wirklich gefallen wollte, war das Fahren. Zwar haben wir im Auto sogar die Möglichkeit in die Third-Person-Ansicht umzustellen, was immens zur besseren Übersicht beiträgt, doch das Fahrgefühl empfand ich als ziemlich schwammig und normalerweise bin ich da nicht wirklich pingelig. Doch aus irgendeinem Grund übersteuerte ich gefühlt viel zu oft beim Fahren, was zur Folge hatte, dass ich ständig irgendwo hängenblieb, umso schöner empfand ich es daher, dass man ein komfortables Schnellreisesystem implementiert hat und man auch oft nur auf dem Beifahrersitzt platznimmt und jemand anderes steuert, was man sogar wahlweise überspringen kann, obwohl man dann einige interessante Gespräche verpasst.

Aber schauen wir uns mal das Thema Technik an, denn das scheint ja der Hauptkritikpunkt überhaupt zu sein. Um mir ein möglichst umfassendes Bild des Spiels bilden zu können habe ich das Spiel sowohl auf der PS4 Pro, sowohl in der Vanilla-Version, die auf die beiden Disks des Spiels gebannt wurde, wie auch der Version mit den aktuellsten Patches, wie auch via Abwärtskompatibilität auf der PS5 angesehen wo ich den Großteil meiner Zeit in das Spiel investiert habe. Ich habe die Story nach knapp 25 Stunden abgeschlossen, es gibt aber noch jede Menge weitere Aktivitäten, die ich dabei übergangen habe. Wenn man alles macht, was das Spiel zum jetzigen Zeitpunkt bietet sollte man locker das drei bis vierfache an Zeit beschäftigt sein. In meinen 25 Stunden hatte ich interessanterweise nur auf der PS5 und mit dem aktuellsten Patch einen Absturz, sonst gab es keine derart gravierenden Probleme. Es gab zwar an einigen Stellen Objekte in der Spielwelt, plötzlich in der Luft schwebten, einen Gegner am Ende der „Heist“-Mission, der in einem Betonklotz hängenblieb und für mich damit unerreichbar wurde und in einer Instanz auch eine Mission, die sich nicht abschließen ließ, da mein Kumpel Jackie mit dem ich reden sollte, um die Mission zu beenden in einem Gebäude stehengeblieben war, in das ich nicht mehr zurückkehren konnte, doch nichts davon hatte die Tragweite der Videos, die teilweise auf YouTube kursieren.

Natürlich ist es unschön, wenn man auf solche Probleme stößt, doch bisher ist mir noch kein Spiel untergekommen, das komplett frei von Bugs war. Und natürlich hätte man das Spiel besser noch einmal verschoben, um diesen Kinderkrankheiten Herr zu werden, doch wahrscheinlich kann jeder nachvollziehen, warum man das Weihnachtsgeschäft mitnehmen wollte, zumal das letzte Jahr uns alle vor immense Herausforderungen gestellt hat, die sich mit Sicherheit auch im Stand der Veröffentlichung wiederspiegeln. Die netten Mitarbeiter von CD Project Red, die normalerweise als Perfektionisten verschrien sind, schämen sich wahrscheinlich ohnehin schon und arbeiten kontinuierlich daran einen Patch nach dem anderen nachzuschieben, um das Spiel zu verbessern. Diesbezüglich hat CD Project Red eine Roadmap veröffentlicht, die genauestens offenlegt, was alles noch kommt: Von Hotfixes, über Patches, bis hin zu kostenlosem DLC und letztendlich der echten Nextgen-Version, die als Gratis-Upgrade verfügbar sein wird. Auch wenn bisher also keine echte Nextgen-Version erhältlich ist, so ist die Performance auf der Nextgen schon auf Grund der Ladezeiten vorzuziehen. Abseits davon ist es eher schwierig Veränderungen festzustellen. Die Grafik sieht sehr schick aus und glänzt besonders bei Nacht, wenn sich die Dunkelheit mit Reflektionen und überzeichneter Neon-Sättigung bricht. Bei Tag hingegen glänzt die Stadt hingegen mit vielen NPCs, die alle ihrem eigenen Tagesablauf nachgehen und der Stadt ein realistisches Gefühl von echtem Leben, wobei Personendichte im Vergleich zum PC reduziert wurde. Immerhin bietet die Wiedergabe auf der PS5 satte 60fps, wobei man sich auf der PS4 Pro mit 30fps begnügen muss. Auf beiden Konsolen kommt es zwar stellenweise zu Framedrops, aber dafür muss schon echt einiges auf dem Bildschirm los sein. Ich bin persönlich schon wahnsinnig gespannt, was die „echte“ PS5-Version, die leider noch ohne konkreten Termin ist, noch aus dem Spiel rausholt.

Insgesamt hatte ich eine Menge Spaß mit dem Spiel und trotz einiger Bugs und Glitches wurde das Spielgefühl nicht nachhaltig getrübt. Logischerweise wäre es ohne diese ein noch besseres Erlebnis, wenn nichts die Immersion trübt, doch „Cyberpunk 2077“ ist keinesfalls das Bugfest, als das es verschrien wird. Das Spiel ist zwar keinesfalls das beste Spiel aller Zeiten, wie es teilweise gehyped wurde, doch ist dennoch eine absolut lohnenswerte Spielerfahrung, die trotz einiger Schwächen überzeugt. In meinen Augen wäre das Spiel zwar durch mehr Bedeutung der einzelnen Charaktereigenschaften und der Hintergrundgeschichte, abseits von einigen abweichenden Dialogoptionen besser gewesen und man kann sich auch darüber streiten, ob das Spiel überhaupt eine offene Spielwelt braucht, wo hingegen eine in kleinere Areale aufgeteilte Welt à la „God of War“ vielleicht sogar besser funktioniert hätte, aber was geboten wird ist dennoch auf ganz hohem Niveau. Das Spiel überzeugt durch eine überaus interessante, wie Wendungsreiche Geschichte und eine in sich stimmig-wirkende Zukunftsvision, die zwar ein eher düsteres Bild zeichnet, aber es sich dennoch nicht so einfach macht und alles in schwarz, oder weiß, bzw. Gut und Böse aufzuteilen, ohne dabei die kleinen Nuancen dazwischen mit einzubeziehen. So wirken viele NPCs, trotz all des Drecks, der Perspektivlosigkeit und der vorherrschenden Gewalt wirklich glücklich in ihrer Situation und gerade eher beiläufige Gespräche, wie wenn Kollege Jackie mit seiner Mutter telefoniert, die sich Sorgen macht, oder V’s Meinung zu einem romantischen Date mit seiner Flamme abfragt, zeigen deutlich, dass nicht alles immer schlecht ist. CD Project Red mag sich in Teilen übernommen haben und ist zur Veröffentlichung trotz Crunch nicht fertig geworden, doch noch ist nichts verloren und ich bin mir sicher, spätestens mit dem Release der PS5-Version sind die schlimmsten Bugs vergessen und man kann sich endlich darauf konzentrieren was wirklich zählt, denn das ist, was „Cyberpunk 2077“ inhaltlich als Spiel bietet.
Entwickler: CD Project Red
Publisher: Bandai Namco
Erhältlich auf: PC, PS4, Xbox One, (PS5, Xbox Series X/S)
NB@24.02.2021
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